Wo stehe ich in Bezug auf die Überwindung der Lüsternheit? – Die 18 Punkte als Prüfsteine (Punkte 1 und 2)

Mein Sponsor sagte mir, dass Neue das Weiße Buch nicht von vorne lesen sollten, sondern dass sie mit dem Abschnitt „Überwindung von Lüsternheit und Versuchung“ (S. 181 ff.) beginnen sollen. In diesem Abschnitt stehen 18 Punkte zu dem Thema „Wie ich meine lüsterne Besessenheit überwand“. Ein Betroffener berichtet dort, was er praktisch getan hat, um zu gesunden. Ich muss mich selber immer wieder daran erinnern: Ich kann mich nicht gesund denken oder gesund wünschen; ich muss das Richtige tun. Durch richtiges Tun ändern sich auch das Denken und das Fühlen in eine gesunde Richtung.

 

Man kann die 18 Punkte als Kurzgebrauchsanleitung nutzen. Als jemand, der schon etwas länger (seit Anfang 2012) trocken ist, möchte ich sie als Prüfsteine meiner Genesung nutzen, mit der Frage: Wo stehe ich in Bezug auf den jeweiligen Punkt?

Schon aus Copyright-Gründen werde ich mich hier auf die Wiedergabe der Überschriften der 18 Punkte beschränken und den Inhalt im Übrigen nur dort wiedergeben, wo es zum Verständnis erforderlich ist. Wer die 18 Punkte selber lesen und nutzen will, sollte sich dafür das Weiße Buch (und einen Sponsor) besorgen.

In diesem Beitrag geht es um die ersten beiden Punkte:

1. Höre auf, den Zwang auszuleben. (Im Original: Stop practicing the compulsion.)

2. Höre auf, die Besessenheit zu füttern. (Stop feeding the obsession.)

Der Zwang bezieht sich auf den körperlichen, den äußeren Aspekt der Sexsucht: auf das sexuelle Ausagieren. Die Besessenheit bezieht sich auf das Kernproblem: Auf mein Inneres, auf den Ort, an dem während meiner aktiven Suchtzeit die Lüsternheit wucherte und immer mehr von mir in Besitz nahm.

Wo stehe ich in Bezug auf mein sexuelles Ausagieren?

Körperlich bin ich trocken, das heißt, ich habe keine Sexualität mit mir oder anderen, außer mit dem Ehepartner. Es gibt aber manchmal Situationen, in denen ich auf der Hut sein muss. Zum Beispiel, wenn ich meinen Penis wasche. Im ersten Jahr der Trockenheit wurde ich darauf aufmerksam, dass ich das Waschen dafür nutzte, mich leicht zu stimulieren. Panisch erzählte ich es meinem Sponsor. Der empfahl mir, besser ungewaschen zu bleiben, als rückfällig zu werden.

Heute weiß ich, wie ich mich waschen muss, ohne mich dabei absichtlich oder versehentlich zu stimulieren. Wenn ich einen schwierigen Tag habe, bete ich, während ich mich wasche. Mit den Werkzeugen des Programms funktioniert es, auch in dieser Situation möglicher Versuchung körperlich trocken und im Kopf nüchtern zu bleiben. Quasi „Sich Waschen ohne nass zu werden“ 🙂

Im Bereich des sexuellen Ausagierens bin ich also trocken. Aber wie sieht es mit der Besessenheit aus, dem Problem „in meinem Kopf“?

Da kommt es immer wieder vor, dass ich die Lüsternheit füttere, zum Beispiel wenn ich mir den Körper einer Frau anschaue. Wie eine Spinne ihr Opfer, kann ich mir in einem Nu das Bild der Frau hineinholen in mein Inneres. Dann spüre ich das beginnende Craving – den Drang, weiter zu machen, auf lüsterne „Sauftour“ zu gehen – und dann wird es höchste Zeit, aus der Situation hinauszugehen und die Werkzeuge anzuwenden.

An dem Punkt „Höre auf, die Besessenheit auszuleben“ bin ich, was lüsterne Blicke betrifft, also noch nicht konsequent. Und ernte die Schwierigkeiten und das Risiko, die daraus hervorgehen.

Heute im Meeting ist mir durch das Teilen eines Freundes wieder bewusst geworden, dass hinter diesem Drang nach lüsterner Ablenkung Verschiedenes stehen kann:

  • ein unerfülltes Bedürfnis, um das ich mich kümmern muss
  • oder auch eine Forderung, die ich loslassen muss,
  • oder eine Unehrlichkeit, von der ich weglaufen will, der ich nicht ins Auge sehen will,
  • also etwas, was ich ändern muss.

Über dieses Thema – was steht hinter der Lüsternheit –  möchte ich später noch einen Beitrag schreiben.

Der Prüfstein „Höre auf, die Besessenheit zu füttern“ zeigt jedenfalls, dass es Situationen der Inkonsequenz in meinem Leben gibt. Ich habe oben geschrieben: An diesem Punkt bin ich noch nicht konsequent. Weil ich die Hoffnung habe, dass ich diese Flucht in die lüsternen Blicke irgendwann aufgeben kann. Dazu muss ich aber ran an die Inkonsequenzen und Unehrlichkeiten in meinem Leben, an die von mir noch ausgelebten Charakterfehler.

Kennt Ihr den tiefen Wunsch nach Frieden und die Freude, die da ist, wenn ein solcher Moment eintritt? Der Mitgründer der Anonymen Alkoholiker, Bill W., hat einen Artikel über Liebe geschrieben, der mit den Worten endet:

Mir ist ein stiller Platz im hellen Sonnenschein geschenkt worden.

I have been given a quiet place in bright sunshine.

(Das Original das Artikels ist hier abrufbar; auf deutsch wurde er in dem AA-Büchlein „Sechs Artikel von Bill“ veröffentlicht.)

Diesen ruhigen Platz im Sonnenschein meiner Höheren Kraft, den suche ich auch. Es ist ein Platz in mir, der auf mich wartet.

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