Was ich meiner Sucht verdanke

Früher sah ich in meiner Sucht vor allem das Negative, das Leid und die vielen einsamen, angespannten Jahre, die ich in ihr zugebracht habe. Als ich vor einigen Tagen im Flugzeug auf dem Weg zu einer AS-Convention war, da ging es mir umgekehrt: Ich hatte vor Augen, welches Glück die Genesung in mein Leben gebracht hat. Ein Gefühl von Glück durchströmte mich.

Und ohne die Sucht würde es meinen Genesungsweg nicht geben:

  • Durch meinen Wunsch, keinen Alkohol mehr trinken zu müssen, kam ich zu AA. Ich war bereit, alles Notwendige zu tun, damit dieser Wunsch in Erfüllung geht.
  • AA brachte mir das Zwölf-Schritte-Programm. Durch dieses Programm konnte ich trocken bleiben. Einen Tag nach dem anderen.
  • Durch das Zwölf-Schritte-Programm begab ich mich auf die Suche nach einer Verbindung zu Gott, wie ich ihn verstehe.
  • Auf diesem spirituellen Weg lernte ich meine Frau kennen.
  • Das Programm, die Meetings, die Programm-Freunde und meine Sponsoren halfen mir, beziehungsfähig zu werden.
  • Erst unterlag ich dem Irrtum, dass die Partnerschaft meine Sexsucht „heilen“ würde. Ich musste lernen, dass dies eine für Süchtige typische Vorstellung ist, die sich bei einem wirklich Sexsüchtigen aber als Illusion entpuppt. So auch bei mir.
  • Ich wusste, dass ich nur trocken und in Genesung eine glückliche Partnerschaft würde leben können. Ich ging zu AS. Durch die Schrittearbeit in AS konnte ich nüchtern bleiben. Der Genesungsweg erhielt eine neue Perspektive.
  • Auf diesem Weg war es mir möglich zu heiraten. Wir sind in diesem Jahr fünf Jahre verheiratet!
  • Durch mein Klar- und Wachwerden wurde mir bewusst, dass ich mich mit meiner Kindheit und Jugend beschäftigen müsste. Die Situationen des Verlassenwerdens, der Gewalt und vor allem Gewaltzeugenschaft und des erlittenen sexuellen Missbrauchs hatte Deformierungen hinterlassen. In einem Zwölf-Schritte-Programm für Erwachsene Kinder von Alkoholikern und aus Dysfunktionalen Familien (ACA) kann ich auch dieses Thema angehen.
  • Jetzt gibt es sogar eine Aussicht, die Heilung der Traumafolgen durch eine künstlerische Therapie zu fördern, mit der ich bald beginnen möchte.
  • Auch in Bezug auf meinen Beruf gelingt es mir seit einigen Wochen, meine Sorgen und meine Anspannung besser loszulassen und an Gott abzugeben. Ich fühle mich nicht mehr für alles verantwortlich und muss nicht mehr alles kontrollieren.

Dies ist nur ein kleiner Ausschnitt dessen, was ich dem Genesungsweg verdanke. Und diesen Genesungsweg verdanke ich meiner Sucht.

Anders als früher kann ich heute fragen: Was kann und soll ich durch eine Situation lernen. Wenn ich mich auf den Weg mache, wird der Weg mich führen.


Nachts im Wald

Bist du nie des nachts durch Wald gegangen,
wo du deinen eignen Fuß nicht sahst?
Doch ein Wissen überwand dein Bangen:
Dich führt der Weg.

Hält dich Leid und Trübsal nie umfangen,
dass du zitterst, welchem Ziel du nahst?
Doch ein Wissen übermannt dein Bangen:
Dich führt dein Weg.

Christian Morgenstern

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