Nicht aus Eitelkeit denken: der oder jener möchte man sein, sondern: was fordert die Sache?
Hans Glaser
Wenn sich mir ein lüsternes Bild immer wieder vor das innere Auge schiebt, dann möchten meine Bequemlichkeit oder meine Eitelkeit manchmal nicht das Erforderliche tun. „Es“ soll so vorübergehen. Ich spreche vielleicht ein kurzes Gebet: „Gott, bitte hilf mir.“ Wenn ich ehrlich wäre, müsste ich den Satz ergänzen: „Nimm es von mir, damit ich selber nichts tun muss. Ich will nicht sehen, was ich sehe. Ich will nicht so sein, wie ich gerade bin.“ Ich verleugne also meine Situation aus Bequemlichkeit und Eitelkeit. Ich möchte ein anderer sein, statt das von der Situation Geforderte zu tun.
Dabei ist die Sache einfach. Wenn es um eine Erinnerung oder ein Bild geht, kann ich es entweder sofort loslassen – oder ich muss das Bild „ans Licht bringen“, also jemandem mitteilen.
Jedes bewusste Wahrnehmen einer Schwierigkeit ist eine Form der Inventur, des vierten bzw. zehnten Schritts. Auch dieses Wahrnehmen eines lüsternen Bildes, das nicht weggehen will. Und jede Inventur, die dazu führen soll, dass ich loslassen kann, mündet in den fünften Schritt:
Wir gestanden Gott, uns selbst und einem anderen Menschen die genaue Art unserer Fehler ein.
Gott: „Gott bitte hilf mir. Ich kann dieses Bild nicht loslassen. Mit Deiner Hilfe kann ich es.“
Uns selbst: Ich habe mich angeschaut und gesehen, ohne mich besser oder anders haben zu wollen. Ich habe an-erkannt, was ist. Ich habe Gott um Hilfe gebeten. Ich habe den Wunsch entwickelt, es loszulassen.
Einem anderen Menschen: Ich greife zum Telefonhörer und teile einem Programm-Freund das Bild mit: „Mir steht immer wieder die Erinnerung vor Augen, wie ich [kurze, genaue Beschreibung, wie das Bild aussieht]. Ich lasse das jetzt los. Danke, dass ich es teilen konnte.“
Für jedes lüsterne Bild, für jede Erinnerung, für jedes zwanghaft assoziierte Wort durchlaufe ich diesen Inventur-Prozess von Bestandsaufnahme (4. und 10. Schritt), Um-Hilfe-Bitten und Ans-Licht-Bringen (5. Schritt).
Ich sehe, was ist. Ich tue, was die Sache fordert. Dann kann ich loslassen. Dann ist die Barriere wieder weg. „Ich“ bin wieder da in der Wirklichkeit, diesem großen Geschenk, das ich als Süchtiger so lange nicht annehmen konnte.