Es war die zentrale Entdeckung der Anonymen Alkoholiker: Alkoholiker sind in Bezug auf ihren Alkoholkonsum nicht verkommene Typen mit Moraldefekt, sondern kranke Menschen! Sie haben eine Allergie gegen Alkohol, das bedeutet: Sie können nicht kontrolliert trinken. Sondern wenn sie Alkohol konsumieren, setzt eine körperliche Reaktion ein, die dazu führt, dass sie weitertrinken und sich besaufen müssen. Diese körperliche Allergie wird als süchtiges Verlangen bezeichnet.
Diese Erkenntnis war revolutionär und sie machte deutlich, dass die Lösung nicht in mehr Willenskraft und Selbstkontrolle liegt, sondern dass der erste Schritt der Gesundung das Zugeben und Anerkennen der totalen Machtlosigkeit ist. Zu dieser Machtlosigkeit gehört auch die Erkenntnis, dass die Sucht mein Denken und Wahrnehmen so stark beeinflusst und „verdreht“, dass ich immer wieder das „erste Glas“ zu mir nehmen muss, das dann die Allergie auslöst. Das Problem ist also, dieses erste Glas stehen zu lassen.
Denn wenn ich das erste Glas nicht trinke, habe ich mit den letzten keinen Ärger!
Und genau da kommt der Kern der „AA-Kur“ ins Spiel: das spirituelle Handlungsprogramm der zwölf Schritte. Ich bekomme die Verrücktheit nur aus dem Kopf, wenn in meinen Kopf und mein Herz etwas Neues einzieht: neue Haltungen, neue Handlungen, innerer Frieden, Wiedergutmachung, Versöhnung, Liebe. Nur wenn ich mich in meinem Wesenkern ändere, kann ich dem Werben der Sucht auf Dauer widerstehen.
Diese grundlegende Persönlichkeitsveränderung nennen die Anonymen Alkoholiker ein „spirituelles Erwachen“. Dies kann, muss aber nicht religiös sein. Ich kenne Programm-Freunde, die die Werkzeuge anwenden, ohne sie mit einer Religion oder einem Bekenntnis zu verknüpfen.
Hinter all dies dürfen die Anonymen Sexaholiker nicht zurückfallen!
Auch für uns gilt die Entdeckung der AA: Ich bin kein verkommener Typ mit Moraldefekt (was nicht heißt, dass ich mich gut oder richtig verhalten hätte – oft ganz im Gegenteil!), sondern ein kranker Mensch, der allergisch auf Lüsternheit reagiert.
Ich kann nicht kontrolliert lüstern sein, nicht kontrolliert lüstern „trinken“. Sondern sobald ich Lüsternheit konsumiere – z.B. Pornographie, das lüsterne Anschauen anderer Menschen oder das Abspielen oder Inszenieren von Filmen im Kopf – setzt eine körperliche Über-Reaktion ein: eben jenes süchtige Verlangen. Und dieses süchtige Verlangen führt dazu, dass ich die Lüsternheit ausagieren muss, dass die lüsterne Sauftour abläuft. Auch wenn ich es nicht will, es „diesmal“ lassen oder kontrollieren wollte etc.
Die Art der „Sauftour“ kann viele Formen annehmen, sie kann auch andere oder nur den Betroffenen verletzen, sie kann sozialkonform oder gesetzeswidrig sein: Sie ist aber nicht der Ausgangspunkt der Sucht, sondern sie ist die Folge des vorangegangenen verdrehten Wahrnehmens und Denkens und des ausgelösten süchtigen Verlangens! Deshalb muss das Trockenwerden von der Sexsucht ganz früh ansetzen – bei dem ersten Gedanken, dem ersten Bild oder dem ersten Blick.
So wie die Erkenntnis des Suchtkreislaufs
Verdrehtes Denken – erstes Glas – süchtiges Verlangen – Sauftour – Reue, Verzweiflung, Schwur: „Nie wieder“ – verdrehtes Denken – erstes Glas …
damals revolutionär war für die Alkoholiker, ist sie es heute für den Sexsüchtigen. Moral hilft deshalb bei der Genesung nicht! Moral kann helfen, solange jemand noch die Kontrolle hat – noch „kontrolliert lüstern sein“ kann.
Wie beim Alkoholismus liegt aber beim Sexaholismus die Lösung nicht mehr auf der Ebene der Willenskraft und Selbstkontrolle, sondern im Aufgeben:
Hilfe, ich kann nicht mehr! Ich möchte damit aufhören! Was kann ich tun?
Auf diesen Ausruf gibt es Antworten und es gibt einen Weg der Genesung. Du wirst nie wieder die Kontrolle zurückerlangen, aber Du bekommst etwas viel, viel Besseres: Trockenheit, Gesundung und ein neues Leben mit einer veränderten Haltung zur Welt (und zu Gott, wie auch immer Du ihn dann verstehen wirst)!
So wie die Anonymen Alkoholiker keine Stellung nehmen zu Fragen rund um den Alkohol (Verkauf, Werbung etc.) und auch nicht zur medizinischen Behandlung des Alkoholismus, sondern bei dem Einzigen bleiben von dem sie wirklich etwas verstehen: der Genesung mit Hilfe des AA-Programms, so ist es auch mit AS. Wir haben genug gelitten, um den Betroffenen die Hilfe des Programm anbieten zu können, wenn er genesen will! und das Einzige, was wir wissen, ist: Für uns funktioniert es. Es ist möglich, aus der Sexsucht auszusteigen!
Ich habe mich mehr als 25 Jahre lang moralisch verurteilt und es hat nicht geholfen. Heute kümmere ich mich lieber nicht mehr um Moral, sondern ums Gesundwerden! (Ein moralisches Verhalten ist dann übrigens Nebenprodukt des Gesundwerdens. Als gesunder Mensch muss ich niemanden mehr verletzen, nicht mehr lügen usw.)