Wenn im Blauen Buch von „völliger Ehrlichkeit“ die Rede ist, muss ich im Umgang mit Anderen Folgendes bedenken: Ich kann ehrlich sein, indem ich dem Anderen die (vermeintliche) Wahrheit wie einen kalten nassen Waschlappen um die Ohren haue – oder ich kann in einer klaren, aber liebevollen Weise ehrlich sein. So ähnlich steht es auch irgendwo in der Programm-Literatur (wer die Fundstelle kennt, bitte gerne als Kommentar posten).
Es ist verführerisch, jemandem auf die „Waschlappen-Art“ die Wahrheit zu sagen. Dabei kann man sich so wunderbar selbstgerecht fühlen. Aber nach einem solchen Auftritt folgt unweigerlich der Schmerz, der immer folgt, wenn sich das Ego ausgelebt hat. Ich bin nicht nur lüsternheitsunverträglich. Ich vertrage es auch nicht, mich in meinen Charakterfehlern zu ergehen. (Deshalb sind auch die Schritte sechs und sieben notwendig.)
Eine praktische Empfehlung dafür, wie man diese Art des Ego-Auslebens vermeiden kann, habe ich in dem Buch „Liebe und Vergebung“ von Leonard Shaw gefunden (deutschsprachige Ausgabe 1995 erschienen im Riethenberghaus-Verlag, Copyright des Originals: 1989 by Leonard Shaw).
Leonard Shaw stellt drei Fragen zur Klärung der Situation.
Ich möchte jemandem etwas sagen:
- Ist es wahr?
- Ist es liebevoll?
- Ist es notwendig?
Ich möchte die Fragen Shaws einmal durchgehen.
Die erste Frage lautet: Ist es wahr?
Wenn das, was ich sagen möchte, nicht wahr ist: Sprich es nicht aus! Zum Beispiel Verallgemeinerungen: Du bist immer soundso! Sie ist einfach nur dumm und gestört! Alle Politiker lügen! Diese Sätze sind sicher schon nicht wahr! Also schweigen!!! Und mich fragen:
WAIT – Why am I talking?
Warum will ich das sagen oder habe es gesagt? Vielleicht finde ich es heraus durch ein Gebet:
Gott, was immer ich in diesem Satz suche, bitte lass‘ es mich in Dir jetzt finden.
Was ist mit mir los? Warum will ich das erzählen? Was suche ich eigentlich gerade in Wirklichkeit? (Das kann auch der Moment für eine Sofortinventur sein.)
Die nächste Frage: Ist es liebevoll?
Wenn etwas wahr und liebevoll ist: Nur zu, sprich es aus. Wichtig ist aber die Reihenfolge der Fragen; sich zuerst die Frage nach der Wahrheit zu stellen. Die Unwahrheit ist immer giftig, auch wenn sie sich ein liebevolles rotes Käppchen aufsetzt und mit einer süßen Kreidestimme spricht. „Du bist ein toller Typ“ kann auch bedeuten: „Jetzt habe ich dich gelobt, jetzt will ich was von dir!“ Eine Schmeichel-Lüge, um selber etwas zu bekommen.
Die dritte Frage: Ist es notwendig?
Wenn etwas wahr und nicht liebevoll ist, muss ich es trotzdem manchmal sagen. Wenn mir ein z.B. ein Sponsee eine Geschichte erzählt und ich sehe Lüsternheit oder Ego, die er nicht sieht, dann habe ich als Sponsor die Pflicht, die Wahrheit zu sagen. Aber dann muss ich auf mein Ego aufpassen. Wie gerne kommt es als „Great Me“, als „Ich Großartiger“ um die Ecke und möchte es jetzt dem anderen wirklich mal zeigen, wie großartig es ist.
Nein, auch dann kann ich klar, aber liebevoll sein. Ich bin nicht für den anderen verantwortlich. Ich bin nur verantwortlich für das, was ich tue. Was ein anderer damit macht: Nicht meine Sache. Und ich bin nicht höher oder tiefer als der Andere.
Gegen Überheblichkeit oder Eingebildetheit hilft mir einer meiner Lieblingsslogans:
Wir sind Clowns im gleichen Bus!
Oder wie es die buddhistische Nonne Ayya Khema ausdrückte (aus der Erinnerung zitiert):
Aus der Sicht des Buddha sind sich die Erdlinge ziemlich ähnlich.
Allen einen schönen Sonntag!