Spezifisches Teilen (1)

Dadurch, dass ich meine Themen spezifisch und nicht nur im Allgemeinen mitteile, trete ich heraus aus Scham und Isolation.

Mein Sponsor hat mir von Anfang an empfohlen, belastende Gedanken, Erinnerungen und Bildern spezifisch und explizit zu teilen.

Praktisch heißt das: Wenn ich ein Bild etc. nicht wieder loslassen kann, rufe ich einen AS-Freund an und sage ihm ganz genau, welches Bild oder welche Vorstellung sich bei mir eingenistet haben. Nachdem ich es ausgesprochen habe, kann ich sie loslassen. Das hat bis jetzt immer funktioniert. Nur selten muss ich etwas mehrmals teilen, weil ich es beim ersten Mal noch nicht loslassen konnte.

Ich teile entweder mit meinem Sponsor, mit Freunden oder im Meeting. Gerade wenn mir Dinge sehr unangenehm waren, wenn ich mich für etwas geschämt habe, hat mir mein Sponsor empfohlen, sie im Meeting zu teilen. Ich habe das gemacht, und dieses ungeheure Befreiungsgefühl erfahren. Und das Gefühl, dazuzugehören. Ich brauche keine Rolle mehr zu spielen.

Voraussetzung für diese Wirkung ist bei mir, dass ich wirklich akzeptiere, eine Krankheit „Sexsucht“ zu haben. Wenn ich wirklich zugeben kann, dass ich der Lüsternheit gegenüber machtlos bin, dann kann ich auch die Dinge akzeptieren, zu denen mich meine Lüsternheit in meiner Krankheit gebracht hat. Wie es das Blaue Buch für den Alkoholiker beschreibt, war es auch bei mir. Ich hatte die Macht verloren, eine freie Entscheidung zu treffen, wenn die Lüsternheit das Ruder übernommen hatte. Das sexuelle Ausagieren folgte dann zwangsläufig.

Seitdem ich gelernt habe, die Sexsucht als Krankheit zu akzeptieren, kann ich meine Vergangenheit annehmen. Ich schäme mich nicht für sie, denn für eine Krankheit muss ich mich nicht schämen. Diese Haltung gerät hin und wieder aber auch ins Wanken. Ich habe festgestellt, dass mein kranker Kopf mit Vorliebe solche Erinnerungen oder Bilder produziert, die besonders mit Lüsternheit und Scham verbunden waren. Und genau an dieser Stelle setze ich das explizite Teilen ein. Ich lasse mich nicht mehr von meiner Krankheit versklaven. Sobald ich merke, dass ich zum Beispiel bei einem Bild oder einer Erfahrung denke, „das kannst du aber jetzt wirklich keinem erzählen“, weiß ich, dass ich es am besten sofort ans Licht bringe. Und ich tue das dann auch.

Explizites Teilen ist ein „expliziter“ Bestandteil des AS-Programms. Roy, der Gründer von AS, hat es im Weißen Buch auf S. 184 f. als notwendig für die Genesung beschrieben (im Abschnitt: „Wie ich meine lüsterne Besessenheit überwand“, Punkt 6: „Bring dein Inneres nach Außen“). Es heißt dort:

Immer, wenn ich fühlte, wie eine Erfahrung, ein Bild, eine Erinnerung oder ein Gedanke mich beherrschte, was häufig der Fall war, brachte ich sie ans Licht, indem ich es vor einem anderen Menschen im Programm aussprach. Lass Luft und Sonne daran. Lüsternheit hasst Licht und flieht davor; sie liebt die dunklen, geheimen Winkel meiner Seele. Und lasse ich sie einmal dort wohnen, ist sie wie ein Pilz und beginnt zu wuchern – der juckende Fußpilz der Seele. Aber sobald ich die Lüsternheit ans Licht bringe, sie vor einem anderen genesenden Sexsüchtigen entlarve, ist ihre Macht über mich gebrochen. Licht tötet Lüsternheit.

Und dann macht Roy es ganz klar:

Ich tat dies mit konkreten Erlebnissen, nicht im Allgemeinen.“ Im Original steht: „I did this with specific experiences, not in generalities.“ (WB p. 160)

Ich teile also explizit und spezifisch. Ich sage nicht: „Eben habe ich einen Trigger gesehen“, sondern zum Beispiel: „Eben habe ich eine Frau mit einem großen Busen gesehen und sofort das und das Bild im Kopf gehabt.“ Ich benenne beim expliziten Teilen, was in meinem Kopf abgelaufen ist.

Und ich teile das Ereignis vollständig mit. Ich hatte bemerkt, dass ich manchmal dem einen Freund den ersten Teil und einem anderen Freund den anderen Teil dessen erzählte, was in meinem Kopf war; weil ich mich schämte oder besser dastehen wollte. Das ist unehrlich und gefährlich für mich. Ich versuche deshalb sehr konsequent, die Sachen vollständig einem Anderen zu erzählen. So wie ich zum Beispiel auch meinen ersten und meinen fünften Schritt jeweils vollständig mit einer Person geteilt
habe.

Roy beschreibt die Wirkung dieses Teilens so:

Jedes Mal, wenn ich es kapitulierend aussprach, war die Macht dieser
Erinnerung oder Erfahrung gebrochen.

So erlebe ich das auch. Und wenn die Macht noch nicht gebrochen ist, habe ich noch nicht kapituliert. Gut, dann kann ich das ins Gebet nehmen, Inventur schreiben und erneut teilen.

Zusammengefasst heißt das für mich heute:

Explizites oder spezifisches Teilen nach dem Weißen Buch umfasst:

  • Aussprechen (nur im Notfall schriftlich)
  • vor einem genesenden Freund im Programm
  • spezifisch, nicht im Allgemeinen
  • loslassen

Die Wirkung:

Ich kann wieder glücklich, voller Lebensfreude und frei sein!

Dieser ganze Artikel ist aus Dankbarkeit entstanden, nachdem ich diese Befreiungserfahrung wieder neu gemacht hatte. Ich hatte zu zwei Lüsternheits-Themen eine wirklich ehrliche und vollständige Inventur geschrieben, und endlich alle Einschränkungen und Rechtfertigungen weglassen können. Ich habe sie explizit mit einem Freund geteilt, so wie oben beschrieben. Und obwohl die Selbsterkenntnis weh tat, ist dann durch mich dieses Gefühl von Glück und Freiheit geflossen, dass ich ein genesender Sexsüchtiger sein darf. Ohne meine Sexsucht, diese große Unfreiheit, hätte ich meine heutige Freiheit und mein heutiges Glück nicht gefunden.

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