Das Blaue Buch erschien erstmals 1939. Obwohl es damals noch nicht beweisbar war, waren die Anonymen Alkoholiker von Anfang der Überzeugung, dass Alkoholismus nicht nur eine Frage der mentalen Kontrolle ist, sondern auch eine körperliche Komponente hat. Das gleiche gilt auch für die Sexsucht. Mit „körperliche Komponente“ meine ich nicht die körperlichen Erscheinungen des (Sex-) Rausches. Was gemeint ist, fasst ein langjährig trockenes AS-Mitglied, der selber Psychiater und Sucht-Spezialist ist, in dem Satz zusammen:
We have a damaged brain!
Harvey A.
Unser Gehirn ist geschädigt!
Im Prozess des Süchtigwerdens verändert sich etwas im Kopf. Ich möchte dazu gar nicht mehr sagen, weil ich kein Arzt bin. Aber warum ist diese Feststellung so wichtig? Weil ich mir immer wieder klarmachen muss:
Einmal sexsüchtig, immer sexsüchtig!
Ich kann noch so lange trocken und mental und spirituell „gut drauf“ sein: Wenn ich wieder einsteige, geht die Katastrophe sofort wieder los.
Im Blauen Buch ist diese Erfahrung so zusammengefasst:
Wir Alkoholiker sind Männer und Frauen, die die Fähigkeit verloren haben, kontrolliert zu trinken. Wir wissen, dass kein Alkoholiker jemals wieder kontrolliert trinken kann. Wir alle durchlebten Zeiten,
in denen wir meinten, die Kontrolle wiedererlangt zu haben. Auf solche meistens kurzen Intervalle folgte
unweigerlich ein noch größerer Kontrollverlust, der nach einiger Zeit zu einem erbärmlichen, unfassbaren Verfall führte. Bei uns gibt es keinen Zweifel, dass Alkoholiker wie wir in der Gewalt einer fortschreitenden Krankheit sind, die immer schlimmer wird, aber niemals besser.Wir sind wie Menschen, die ihre Beine verloren haben; ihnen wachsen niemals neue.“
Anonyme Alkoholiker/ Blaues Buch, Kapitel 3 „Mehr über Alkoholismus“, S. 35 f.
Die gleiche Erfahrung habe ich als Sexsüchtiger gemacht. Die Kontrolle kehrt nie zurück. Die Sucht kennt nur eine Richtung: Abwärts.
Aber der oben zitierte Sprecher sagte noch einen wichtigen Satz:
„Ich habe meine Beine verloren. Aber ich konnte noch nie so gut laufen, wie heute!“
Das ist es! Ich habe nie so gut leben können, wie seitdem ich trocken bin. Ich bin heute sogar verheiratet und kann Liebe geben und annehmen. Was für ein Geschenk!