Samstagsmorgen. Samstagssorgen.
Ich fühle mich etwas schwach und erschöpft. Suche Ruhe. Selbstmitleid kommt auf.
Ich lese etwas über den „Schmerz“: Dass unser eigenes Wesen weiter werden kann, wenn wir durch den Schmerz hindurchgehen. Dass sogar Frieden schmerzgeboren ist, dass er aus der Auseinandersetzung mit dem mit dem Scherz entstehen kann (vgl. Lic. Robert Goebel, Vom Schmerz Von Der Krankheit Und Vom Tode, Stuttgart 1938).
Ja, das habe ich auch schon erlebt. Und ich möchte wachsen. Und nicht vor dem Schmerz durch Selbstmitleid zu fliehen versuchen.
Ich entscheide mich, mich nicht in das Selbstmitleid sinken zu lassen. Lieber hinschauen: Wie war die vergangene Arbeitswoche? Sie war sehr anstrengend. Schon am vorvergangenen Freitag gab es die Ankündigung, eine kaum leistbare Aufgabe umsetzen zu müssen. Dann mussten wir abwarten. Es wurde mal dies angekündigt und dann jenes. Aufregung.Dann war sehr schnell viel zu erledigen – dann galt es, wieder abzuwarten. Freitagabend um halb Sieben war die Sache erstmal geschafft.
Schon am Donnerstag spürte ich ein altes Muster: „Übermorgen ist Wochenende …“ Früher hätte ich diesen Satz ergänzt: „… dann darfst Du endlich wieder trinken.“ Und lüstern ausagieren. Endlich Ruhe haben.
Zum Glück habe ich das alte Muster sofort erkannt. Ich habe mit einem AS-Freund über diese Gedanken- und Gefühlsmuster gesprochen. Ich habe mich in der morgendlichen Besinnung darauf eingestellt, dass ich in dieser Gefahrenzone bin.
Früher lebte ich in ständiger Anspannung, Aufregung und in Ängsten. Ich wusste damals nicht, dass ich meine innere Welt beeinflussen kann. Ich hatte keine Werkzeuge, an meiner Anspannung etwas zu ändern. Ich kannte keine Kraftquelle, die mir helfen könnte.
Also konnte sich die ganze Arbeitswoche über die Anspannung anstauen. Direkt nach der Arbeit am Freitag musste ich dann irgendwo mit meiner Anspannung hin. Ich wollte sie in einen Rausch umwandeln. Ich wollte in den Rausch, der alles wegmacht, alles endlich „gut“ macht. Natürlich agierte ich sexuell auch während der Woche aus, aber in die Sucht richtig eingetaucht bin ich ab Freitagnachmittag. Eingetaucht und – untergegangen.
Gestern, am Freitagnachmittag, war es – ich wollte erst schreiben: genauso. Nein, es war überhaupt nicht genauso, weil ich es sehen konnte. Etwas wirklich zu sehen bedeutet schon, dass es nicht mehr dasselbe ist. Es erst einmal wirklich ansehen, ohne es sofort ändern zu wollen.
Was der früheren Situation ähnelte: Ich war wie ein zu stark aufgepumpter Reifen. Die angestaute Luft wollte entweichen, aber ich konnte sie nicht loslassen. Ich bekam geradezu innerlich keine Luft. Wohin mit der Aufregung und Anspannung? Ich konnte mich beobachten, wie die langjährig antrainierten Muster bereitstanden; es stellte sich sogar eine Lüsternheitsattacke ein, ein starkes pornografisches Bild.
Aber ich musste alledem nicht folgen. Ich konnte mich an meine Höhere Kraftquelle wenden. Ich hatte Kontakt mit AS-Freunden. Ich landete schließlich von dem Stress-Flug. Ich landete, ohne in die Sucht zu fliehen.
Ich bin so dankbar, dass es heute für mich diesen Weg der Nüchternheit gibt. Daran ist nichts selbstverständlich. Es wäre geradezu „natürlich“ für mich, in die Sucht zu fliehen. Ich musste das viele Jahre tun, ohne einen Ausweg zu sehen.
Heute darf ich trocken sein. Heute und einen Tag nach dem anderen.