Im Seelengarten (I)

Manchmal ist das Seeleninnere wie „besetzt“ – von Angst, Ärger, Traurigkeit, Sehnsucht, Anlehnungsbedürftigkeit, Freiheitsimpulsen und anderen Gefühlen und Willensimpulsen.

Manchmal gelingt es mir in diesen Situationen, für eine Zeitlang zurückzutreten und zu sehen; einfach nur zu sehen, was in mir geschieht. Hierbei kann die Inventur helfen. Es kann aber auch gut sein, einfach nur hinzuschauen. Wenn ich Inventur schreibe, um mehr Klarheit zu bekommen, passe ich auf, dass die Inventur keine neuen „Sorgengäste“ in mein Inneres bringt, z.B. Selbstmitleid, Bedrückung oder Minderwertigkeitsgefühle.

Dann einfach sehen, was ist, welche Gäste da sind, und mit den „Gästen“ sprechen: „Da seid ihr. Ich werde euch gerade nicht los. Aber ich identifiziere mich nicht mehr mit euch.“

Denn: Ich bin nicht meine Gefühle. Ich bin nicht meine Angst. Ich bin nicht mein Bedrücktsein.

Dann: Ich versuche, etwas freien Raum in meinem Inneren zu schaffen. Damit in diesem Inneren die helfenden Kräfte wirken können. Zum Beispiel bitte ich: „Gott, was immer ich in dieser Angst suche, bitte lass‘ es mich in Dir finden.“ Oder ich sage mir: „Auch das geht vorüber.“ Die ungebetenen Gäste sitzen zwar vielleicht auch danach noch in meiner Seele, aber jetzt schon mehr am Seelenrand. Sie können sich gegen die Kräfte des Guten nicht behaupten. Auch wenn sie vielleicht zunächst bleiben. Nach einiger Zeit stelle ich dann fest, dass sie gegangen sind. „Gefühle sind wie Wolken. Sie ziehen auf und sie ziehen auch wieder vorüber.“

Hans Glaser gibt in einem Tagebucheintrag von Juli 1966 zwei Bilder für die Geschehnisse in meinem Seeleninneren:

Das Seeleninnere wie ein Tableau erleben, worauf die verschiedenen Reaktionsqualitäten latent liegen.
Dieses Gebiet darüber schwebend zu überblicken versuchen.
Oder es wie einen Garten erleben, in dem verschiedene Impulse gepflegt werden sollen, wo aber ständig Ungeziefer und Raubtiere einfallen. Pflegen und schützen, was da gedeihen soll.

Liebevoll pflegerisch mit mir selbst umgehen lernen, das ist ein sehr hilfreiches Mittel. Während ich meine Sucht auslebte, habe ich mir so viel selbst geschadet. Ich schulde mir jetzt selbst liebevolle Zuwendung.

Ein anderes Mittel: Das Tableau mit meinen Reaktionsqualitäten „darüber schwebend“ zu überblicken versuchen. Was ist ein Tableau? Ein Tablett. Vielleicht so eines?

Pierre Hugé, 1744–45, Quelle: The Metropolitan Museum of Art

Dort liegen sie, die möglichen Reaktionen, Reaktionsqualitäten. Auch die Gefühle und die Willensimpulse. Welchem folge ich? Woraus handle ich?

Do the right things right and the right things will happen.

Tue das Richtige auf die richtige Art und das (für dich) Richtige wird geschehen.

So heißt ein AA-Slogan. Um das Richtige tun zu können brauche ich einen Moment der Verzögerung. Wenn ich unmittelbar aus dem unfreien Impuls handele, laufe ich Gefahr, mir oder anderen zu schaden. Vieles kann diese heilsame Verzögerung bringen: Das Schreiben einer Inventur; ein Gespräch mit dem Sponsor oder einem Programm; eine Pause; eine Mahlzeit; Gebet und Besinnung; der Besuch eines Meetings.  Wenn ich diese Werkzeuge nutze, habe ich schon das Richtige getan. Und, wie es ein AA-Freund ausdrückte:

Die Kraft kommt zur Tat.

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