Ein „AA-Oldtimer“ sagte manchmal im Meeting: „Gott hält dir keinen Parkplatz in der Altstadt frei“ – vielleicht, weil es ihn nervte, wenn ein Teilnehmer „Gott“ zu seiner Wünscherfüllungsmaschine machen wollte oder als Ausrede dafür benutzte, dass er sich nicht um das kümmerte, wofür er selber verantwortlich ist („Heute bin ich nicht zum Vorstellungsgespräch gegangen. Aber Gott wird mir schon einen Job besorgen.“). Andererseits erlebe ich es aber, dass das Schicksal wirklich oft verblüffende Hilfen und Lösungen für meine Sorgen und Probleme bereithält – immer dann, wenn ich mich geduldig und tastend auf das zarte Wechselspiel einlasse – das Wechselspiel zwischen dem, was ich selber tue (und manchmal auch tun muss) und dem, was von „oben“ daraus gemacht oder hinzugegeben wird.
Vor allem ist das, was ich in dieser lauschenden, tastenden Haltung bekomme, oft noch besser als das, was ich mir gewünscht habe. Alles, was wirklich wichtig in meinem Leben ist: zum Beispiel meine Frau, die Zwölf-Schritte-Gruppen, meine Spiritualität und meine Kirche, unsere Wohnung, der Arzt, der mir so viel weiter geholfen hat, die Menschen, die mir Wege gewiesen haben, mein Beruf…, alles das, wofür ich dankbar bin, ist auf „indirektem Wege“ zu mir gekommen. In keinem dieser aufgezählten Beispiele habe ich den „Erfolg“ direkt angesteuert. Ich war einfach offen, habe Menschen angesprochen und ihnen zugehört, war im entscheidenden Moment mutig (oder habe mir helfen lassen, wenn mir selbst der Mut fehlte) – und dann kam es zu diesem Wechselspiel aus Aktivität, Warten, Lauschen und Zuhören, und am Ende stand – das Geschenk, die Segnung, die dann zugleich wieder Beginn eines neuen Weges ist.
Dabei ist jedes Geschenk ausnahmslos auch mit Schmerz verbunden, das muss so sein. So werde ich von jedem geliebten Menschen irgendwann getrennt; wenn ich das Geschenk des Alters bekomme, muss ich wahrscheinlich zugleich dem eigenen körperlichen Verfall erleben und annehmen; die Welt verändert ich und es vergehen Dinge, die mir wichtig sind oder sie werden mir genommen. Und wieder: Offenbleiben, wünschen, ohne dass Forderungen aus dem Wünschen werden, etwas wagen, Begegnung zulassen… – das Schicksal, die helfenden Kräfte sind da.
Das ist Leben! Meine Sucht war eine Schmerzbehandlung! Ich hatte so Sehnsucht nach dem Leben, aber weil ich dem Leben nur mit Anspannung und Angst begegnen konnte, und vor allem Schlimmes erwartete, blieb der Lebenshunger ungestillt. Stattdessen wurde meine Welt immer enger und enger, ich versuchte, das Leben durch Striktheit, Verurteilungen und Forderungen „lebbarer“, erträglicher zu machen. Das klappte natürlich nicht. Es wurde immer unerträglicher und ich brauchte noch mehr „Schmerz- und Schlafmittel“, um es aushalten zu können.
Was klappt denn? Nun: Gebet – Dankbarkeit – eine liebevolle Haltung – Nachsicht und Freundlichkeit gegenüber sich selbst und anderen – um Hilfe bitten und Hilfe schenken – und auf das Anklopfen dessen hören, was bereit ist, einzutreten. Das Eintretende lieben und, wo das nicht geht, es zumindest annehmen und darauf vertrauen: Gott legt niemandem mehr auf, als er tragen kann und: Die Hilfe und die Helfer sehen vielleicht anders aus, als ich es im Eigenwillen und in der Enge meiner Vorstellungen erwarte oder fordere.
Ich darf mir alles wünschen, das Beste und Schönste, ich darf alle Vorurteile über Bord werfen, ich darf mich freuen – es gibt meinen Weg, ich gestalte ihn mit und er wird mich führen.
Ich habe die Gedichtszeilen von Christian Morgenstern schon an anderer Stelle zitiert, aber sie heben meinen Blick und meinen Mut, wenn beides gesunken ist. Und sie erinnern mich an meine eigene Erfahrung, dass, seitdem ich auf dem Weg der Genesung bin, dieser Weg mich tatsächlich aufs Beste geführt hat:
Nachts im Wald
Bist du nie des nachts durch Wald gegangen,
wo du deinen eignen Fuß nicht sahst?
Doch ein Wissen überwand dein Bangen:
Dich führt der Weg.
Hält dich Leid und Trübsal nie umfangen,
dass du zitterst, welchem Ziel du nahst?
Doch ein Wissen übermannt dein Bangen:
Dich führt dein Weg.
Christian Morgenstern