Freundschaft

Ich habe diesen Blogbeitrag schon ein paar mal angefangen. Aber finde schlecht Worte für die bewegenden Begegnungen, die ich an den vergangenen Tagen auf dem deutschsprachigen Ländertreffen der Anoymen Sexaholiker hatte. Ich fühlte mich zu Hause. Ich konnte loslassen und musste nichts darstellen. Ich war ein Mensch unter Menschen. Es kam mir so vor, als hätte ich niemals zuvor anderen Menschen so direkt ins Gesicht schauen können. Und diesen Kosmos spüren können, den jeder Einzelne darstellt. Wir Menschen sind wirklich ein ganz großes Wunder, jeder und jede Einzelne.

Die Begegnungen haben ein Thema in mir eröffnet, dass mich in der Trockenheit schon öfters beschäftigt hat: Freundschaft.

In den Jahren, in denen ich süchtig Alkohol trank und Lüsternheit konsumierte, hatte ich zwar Freunde. Mit wenigen Ausnahmen waren es aber immer auch Trinkfreunde. Wir erzählten uns nächtelang Dinge – letztlich ohne Belang. Ich weiß jedenfalls fast nichts mehr davon. Das, was mich auch damals schon regelmäßig beschäftigte und belastete: meine Ängste, Zwänge, süchtigen Verhaltensweisen, meine so große Sehnsucht nach dem ich-weiß-nicht-wonach – das hielt ich unter Verschluss. „Wenn die wüssten“, dachte ich oft. Ja, was dann eigentlich? Die Scham war einfach zu groß.

Dann kamen die letzten Jahre meines süchtigen Lebens und es wurde auch äußerlich einsam. Ich verbrachte die meisten Wochenenden alleine, trank Alkohol und konsumierte Pornografie, ging zu Prostituierten usw. Eigentlich wollte ich so gerne Begegnung. Aber ich wusste nicht, wie das geht, Begegnung. Begegnung war viel zu aufregend und anstrengend.

Durch die Anoynmen Alkoholiker und dann durch die Anonymen Sexaholiker änderte sich das. Jetzt ging es nicht mehr um die äußeren Sachen (Ausbildung, berufliche Stellung, politische und religiöse Meinung), sondern im wahrsten Sinne des Wortes um das „Eingemachte“. Das, was tief in mir lagerte, brodelte, gärte und faulte. Und auch um die Entdeckung von Freude, Ehrlichkeit und Begegnung.

Es gab richtige „Flitterwochen“ mit den Gemeinschaften, ich hing herum mit Programmfreunden, wir fuhren zu Conventions, tranken Kaffee und aßen Pizza zusammen, telefonierten, gründeten Meetings … Zum ersten mal seit mehr als 25 Jahren erlebte ich herzliche, freundliche, nicht durch Alkohol impulsierte Gemeinschaft.

Auf diesem Ländertreffen habe ich gespürt: Ich kann Kontakt zu Menschen haben. Ich kann Menschen liebevolle Gefühle gegenüber haben. Ich kann tief in ein Gespräch einsteigen – und dann auch wieder loslassen.

Jetzt ist es an mir, mich um meine Freundschaften zu kümmern. Die Flitterwochen sind vorbei (ich bin dankbar, dass sie sogar Jahre gedauert haben!), aber die Verbindung ist da. Ich möchte lernen, diese Verbindungen zu pflegen.

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