Durch den sexuellen Missbrauch, den ich mit 15 erfahren habe, hat sich über meine Sexualität ein dunkler Schatten gelegt. Ich war vorher schon verunsichert und suchte nach, auch geschlechtlicher, Orientierung. Jetzt wurde die Sexualität auf der einen Seite zu etwas sehr Erstrebenswertem, andererseits aber auch zu etwas Negativem, Schlechtem: ich hatte das Gefühl, als ob jede Sexualität immer auch missbräuchlich wäre. Scham- und Schuldgefühle begleiteten meine Sexualität, egal, was der Kopf mir dazu sagte.
Schließlich hatte ich über Jahre überhaupt keine Sexualität mehr mit anderen Menschen. Was aber da war, war die Lüsternheit. Lüsternheit ist nicht identisch mit Sexualität. Es ist vielmehr so, dass sich die Lüsternheit des natürlichen sexuellen Triebes bedient. Sie benutzt ihn. Es geht nicht wirklich um Sexualität, es geht um den Kick, die Chemie, das Sich-Weg-Machen mit Hilfe der Sexualität.
Die Lüsternheit ergriff immer mehr und neue Bereiche des Lebens, bis sie, nach ein bis zwei Jahrzehnten Entwicklungszeit, zu einem dominierenden Faktor meines Lebens geworden war.
Und es war eben nicht einfach „Sexualität“. Es war eine umfassende Verzerrung und Benutzung der Wahrnehmungen der Umwelt, eine Sexualisierung zur Erlangung eines Rausches. Die Lüsternheit war insofern oft noch nicht einmal körperlich. Sie fand oft nur in meinem Kopf statt, und Selbstbefriedigung oder sexueller Verkehr waren quasi nur eine körperliche Zutat, nicht das Zentrale. Die lüsterne Aufladung war für sich genommen das, worum es ging. Dass sie dabei auch Körper benutzte, den eigenen oder fremde, war nur ein Teilaspekt.
Gerade deshalb gibt es für mich als Sexsüchtigen die Falle der Suchtverlagerung. Dann kommt der Rausch eben woanders her, z. B. vom Essen. Weil aber nichts so stark ist, wie die sexuelle Lüsternheit, landen die von der Suchtverlagerung Betroffenen auch oft wieder beim sexsüchtigen Verhalten.
In meiner Zeit der Genesung habe ich Trauer zugelassen um das, was ich durch den Missbrauch in meiner Jugend und die Gewalt in meiner Kindheit verloren habe. Ich lerne, mit Sanftheit, Humor, Liebe und Respekt mit mir umzugehen. Es ist mir bewusst, dass mich die Sucht tief geprägt hat und jederzeit durch lüsterne Impulse aktiviert werden kann. Ich vertrage keine Lüsternheit mehr. Das akzeptiere ich als eine Tatsache meines Lebens. Aber mein Leben ist reicher und schöner, als jemals zuvor.
AS hilft mir dabei, nicht in die Sucht zurück zu müssen, sondern auf einer täglichen Grundlage eine lebensbejahende Nüchternheit einzuüben. Hierzu nutze ich die Werkzeuge des Programms (Meetings, Sponsorschaft, Schrittearbeit, Gebet und Besinnung, Kontakt zu AS-Freunden und Newcommern). Ich bin sehr dankbar, dass ich diesen Weg gefunden habe.