Die eigene Vorstellung von Gott

My friend suggested what then seemed a novel idea. He said,
“Why don’t you choose your own conception of God?’’

Mein Freund machte einen Vorschlag, der mir damals als ein neuer Gedanke erschien. Er sagte: „Warum suchst du dir nicht deinen eigenen Begriff von Gott?“

Anonyme Alkoholiker,
Bill’s Story/ Bills Geschichte, p. 12/ S. 14

In meiner Sexsucht war ich so machtlos, dass ich aus eigener Kraft nicht aufhören konnte. Ich brauchte eine Kraft, größer als ich selbst, um auch nur daran denken zu können, ein Leben ohne Lüsternheit und sexuelles Ausagieren zu führen.

Es erschien mir aber ausgeschlossen, dass diese Kraft etwas mit „Gott“ zu tun haben könnte. Gott war entweder nicht existent, oder er war jedenfalls für mich nicht erreichbar. Mit dieser Überzeugung kam ich 2008 ins Zwölf-Schritte-Programm.

Dort wurde mir empfohlen, mir eine Vorstellung von einer Kraft, größer als ich selbst, zu machen. Auch damit ich etwas habe, woran ich mich wenden kann. Dass ich lerne, dieser Kraft zu vertrauen – damit ich damit aufhören kann, mich verzweifelt nur auf mich selbst zu verlassen. Und damit immer wieder zu scheitern.

„Es reicht erst einmal, wenn Du Deine Gruppe als Höhere Kraft nimmst,“ war eine der ersten Empfehlungen. Diese Empfehlung befolgte ich. Ich verließ meine enge, angsterfüllte Festung und versuchte, zuzuhören und zu lernen.

Aber Gott? Die Frage geriet mit dem dritten Schritt unvermeidbar in den Blick. Und ich wollte doch so gerne ein neues Lebenskonzept finden. Für ein Leben voller Lebensfreude und in Freiheit.

Schließlich nahm ich die Empfehlung aus dem Eingangszitat ernst. Diesen Satz: „Warum suchst du dir nicht deine eigene Vorstellung von Gott“, sagte Ebby zu Bill W., dem späteren Mitgründer von AA. Und Bill wagte den Schritt. Und wurde trocken. Und gründete zusammen mit Bob die erste Gruppe der Gemeinschaft, aus der später die Anonymen Alkoholiker wurden.

Meine eigene Vorstellung von Gott… Es war nicht eine Vorstellung, die ich mir einmal gemacht habe. Es war und ist ein Weg der Erfahrung. Einige meiner bisherigen Stationen:

  • Als ich trocken den ganzen Schmerz spürte, den der sexuelle Missbrauch und die Gewaltbegegnungen in meiner Kindheit eingeprägt hatten, da spürte ich auch eine – ja was? Einen Wind, der mich trug? Eine sanfte Liebe, die mich begleitete? Einen Schützer, einen Tröster? Ich bin in einigen wirklich gefährlichen Situationen geschützt worden, das fiel mir in meiner Inventur wieder ein.
    Da war mein erstes, noch ganz anfängliches Empfinden dieses Getragenwordenseins. Das war eine erste Vorstellung von einer Höheren Macht, die nicht meine Gruppe war (auch wenn die Gruppe mir offenbar den Zugang zu ihr ermöglichte).
  • Ich war jetzt bewusst auf der Suche. Konnte denn hinter diesen Gefühlen, hinter diesen Gedanken, mehr stecken, als eben nur ein Gefühl. War es eine Wirklichkeit?
  • Ich fing an, mich mit dem Theravada-Buddhismus zu beschäftigen. Er erschien mir als Chance auf eine Höhere Macht ohne Gott. Ich bildete mir also eine neue Vorstellung von einer Höheren Kraft.
  • Dann las ich ein Buch darüber, wie man die Bergpredigt buddhistisch lesen können. Eine neue Reise begann…
  • Ich entdeckte schließlich, dass ich noch von der Höllenangst der Religion meiner Kindheit geprägt war. Ein „Ich-krieg-dich“-Gott war es, der Buch führte über meine Sünden, um am Ende mit mir abzurechnen. Kein Wunder und sehr gut, dass ich mit diesem Gott nichts mehr zu tun haben wollte! Aber ich hatte ihn nicht wirklich loslassen können, er wirkte in mir weiter. Ich musste ihn loslassen, wenn ich irgendetwas erreichen wollte. Jetzt begann wieder eine neue Reise zu einer neuen Vorstellung von Gott…

Dies sind einige Einblicke in meine eigene Geschichte mit der Kraft, größer als ich selbst, die mich liebt, schützt und führt. Ich fand zu meinem Gott, und ich fand sogar eine Kirche, in der ich mich wohlfühle.

Zwischendurch, wenn meine Vorstellung von Gott (wieder) zu eng, zu klein, zu perfektionistisch wird, muss ich sie wieder loslassen. Vor einigen Jahren zum Beispiel wurde mir bewusst, dass ich Gott zu meinem Angestellten gemacht hatte, der für mich „springen“ und meine Wünsche erfüllen sollte. Da musste ich diesem „Angestellten“ kündigen. Und ich war wieder auf dem Weg zu Gott, wie ich Gott verstehe.

Daher kann ich nur jedem Mut machen, der sich mit dem Begriff „Gott“ schwer tut, es trotzdem mit den Anonymen Sexaholikern und dem Zwölf-Schritte-Programm zu versuchen. Der Gottesbegriff hier ist total inklusiv. Gott kann alles sein, was für Dich einen Sinn ergibt! Es geht darum, zufrieden, voller Freude und frei zu werden. Wenn Dein Gottesbild Dich daran hindert: Warum suchst du dir nicht Deine eigene Vorstellung von Gott? Und lässt dich darauf ein?

Du wirst staunen.

Schreibe einen Kommentar