Der Wunsch, die Lüsternheit aufzugeben

Als ich zu AS kam, dachte ich, es würde jetzt darum gehen, mit meinen unerwünschten sexuellen Verhaltensweisen aufzuhören. Das ist auch ein Teil dessen, worum es geht. Die dritte Tradition zeigt aber, dass es eben nur ein Teil der Genesung ist. Sie lautet:

Die einzige Voraussetzung für die AS-Zugehörigkeit ist der Wunsch, mit der Lüsternheit aufzuhören und sexuell nüchtern zu werden.

Zum einen geht es also schon um den Wunsch, sexuell nüchtern zu werden. Es gibt aber einen weiteren Wunsch, der in der zitierten Tradition sogar an erster Stelle steht: Den Wunsch, mit der Lüsternheit aufzuhören.

Habe ich diese zwei Wünsche?

Es kann schon an dem Wunsch mangeln, sexuell nüchtern zu werden. Nachdem ich 2008 einige Wochen bei AS war, wollte ich wieder onanieren können! Ich sagte mir, dass diese Form der Sexualität doch unproblematisch sei. Ich konnte mir damals noch nicht eingestehen, dass es „einfach onanieren“ für mich nicht gab. Das Onanieren brachte die ganze Sucht wieder in mein Leben.

Mir fehlte damals also schon der Wunsch, sexuell nüchtern zu werden. Konsequenterweise verließ ich AS und versuchte weitere vier Jahre lang erfolglos, mein süchtiges Verhalten zu kontrollieren.

Erst nachdem ich 2012 wieder zu AS zurückgekehrt war, beschäftigte ich mich mit dem AS-Konzept der Lüsternheit. Oder besser: Mit der AS-Erfahrung, dass der Sexsucht als treibende Kraft die Lüsternheit zugrunde liegt. Und dass ich nur genesen kann, wenn ich diese Begierde loslasse.

Deshalb steht der Wunsch, die Lüsternheit loszulassen, in der dritten Tradition an erster Stelle, weil ohne ihn der zweite Wunsch, nämlich sexuell trocken zu werden, nicht dauerhaft in Erfüllung gehen kann.

Lüsternheit bedeutet, dass mein Wahrnehmen, Denken, Fühlen und Wollen lüstern eingefärbt und von Lüsternheit getrieben sind. Mein Blick ist lüstern. Wenn ich ein Bild mit 20 Personen sehe, sehe ich dort sofort die Frau mit dem tiefen Ausschnitt.

Habe ich denn neben dem Wunsch nach sexueller Trockenheit auch den Wunsch, die Lüsternheit aufzugeben? Oder will ich an der Lüsternheit festhalten und nur die Auswüchse meiner Sucht „kontrollieren“?

Ich kann mich prüfen:

  1. Was sind meine Formen der Lüsternheit? Was ist mein lüsternes Nippen, Riechen, Trinken, Saufen? Ja, ich kann sogar lüstern „riechen“, zum Beispiel wenn ich beim Vorbeigehen einer Frau tief einatme in der Hoffnung, Parfüm- oder andere Gerüche aufnehmen zu können. Vor Kurzem lief mir ein Schauer über den Rücken, weil es in einer Tankstelle nach einer Mischung aus Kaffee, Zigaretten und Reinigungsmittel roch, einer Geruchsmischung, die ich aus Sexshops kannte.
  2. Habe ich den Wunsch, mit dieser, meiner Lüsternheit aufzuhören?
  • Was ist eigentlich hier mit „Wunsch“ gemeint? Im englischen Originaltext der Tradition heißt es:The only requirement for membership is a desire to stop lusting …A desire: Ein Wunsch, ein Verlangen, eine Sehnsucht, das lüstern Trinken zu stoppen.Der Wunsch reicht. Du kannst körperlich noch das Gift in Dir haben. Deine Gewohnheiten sind noch lüstern. Dein Denken ist es. Dein Wahrnehmen. Du bist ein Lüsternheitsjunkie. (Oder nicht?) – Der Wunsch reicht.
  • Und weiter: Habe ich diesen Wunsch? Das heißt nicht, dass es keine Versuchungen mehr gibt. Ich hatte manchmal das Gefühl, dass ich sterbe, wenn ich „es“ nicht tue. Wenigstens etwas Trinken. Ich kann nicht ohne. Hilfe! Hilfe! Manchmal geht nur noch dieses „Hilfe“.

Es ist unmöglich, aus eigener Kraft trocken zu bleiben. Dennoch reicht der Wunsch. Warum?

Weil es eine Höhere Kraft gibt, eine Kraft oder Macht, größer als ich es bin. Wenn ich dieser Macht gebe, was ich habe – wozu ich in der Lage bin, es ihr zu geben: die Sehnsucht, den Wunsch, mit der Lüsternheit aufzuhören, die Bereitschaft und die Ehrlichkeit – dann nimmt sie es an. Und dann erhalte ich die Kraft, die ich brauche, um trocken zu bleiben und den Weg der Genesung zu gehen.

Ich möchte eine Geschichte aus dem neuen Testament erzählen, auf die ich schon in einem anderen Blogbeitrag Bezug genommen habe: Das Speisungswunder. Mir geht es nicht um den christlichen Gehalt der Geschichte, sondern um die dortige Beschreibung, was Gnade bedeutet.

Es kamen 5000 Menschen zusammen. Sie hatten Hunger. Es war nicht genug Geld da und es gab auch keine Möglichkeit, genug Brot zu kaufen. Was gab es? „Ein Knabe ist hier, der hat fünf Gerstenbrote und zwei Fische, aber was bedeutet das für so viele?“

Was hat diese Geschichte mit mir zu tun? Mit meiner Machtlosigkeit über die Lüsternheit?

Ich bin der Knabe. Ich habe einen wackeligen Wunsch danach, mit der Lüsternheit aufzuhören. Was bedeutet das angesichts so vieler Versuchungen und Trigger?

Die Jünger Jesu ließen die Menschen sich auf dem grünen Gras dort lagern. Jesus segnete die fünf Gerstenbrote und zwei Fische und gab den Menschen davon. Es reichte nicht nur, dass alle satt wurden. Es waren sogar noch zwölf Körbe mit Brocken der Brote über.

Ich gehe Tag für Tag mit meinem Wunsch, meiner Sehnsucht und dem Wenigen, was ich habe, zu meiner Höheren Macht. Dann lagere ich mich auf grünem Gras. Das heißt, ich komme zur Ruhe und bin bereit, zu empfangen. Dann wird das, was ich gebracht habe, genommen und es wird gesegnet. Das heißt, die Höhere Macht fügt zu dem Wenigen etwas hinzu. Das, was ich zum Trockenbleiben und zum Leben brauche. Das gibt sie mir. Und das, was ich erhalte, sättigt mich nicht nur (so dass ich der lüsternen Begierde nicht folgen muss). Es bleibt sogar noch sehr viel übrig, so dass ich anderen etwas weitergeben kann.

Voraussetzung für diese Gnade ist aber, dass ich bereit bin, mich mit meinem Wunsch Tag für Tag neu an meine Höhere Macht zu wenden. Bin ich dazu bereit? In welchen konkreten Handlungen drückt sich diese Bereitschaft aus?

Was bin ich bereit, täglich und wöchentlich zu tun, um trocken zu bleiben und zu genesen? Das umfasst

  • ein Abend-/ Morgenprogramm
  • Kontakte (zu meinem Sponsor und zu Programmfreunden. Wie oft?)
  • Meetings (welche/ wie oft?)
  • Schrittearbeit
  • Lektüre der Programmliteratur
  • ???

Was steht auf meiner Liste? Hört sie sich nach der Bereitschaft an, den Weg der Genesung wirklich zu gehen? Oder nach einem pflichtschuldigen Minimalprogramm? Gebe ich das, was ich habe und was ich kann?

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