Der weiße Teufel und das „Du darfst“

Die Sucht hatte mich in die Isolation getrieben. Aber auch in der Trockenheit geriet ich in Isolation: Durch meine Besserwisser- und Rechthaberei, verbunden mit einer tiefen Angst davor, Fehler zu machen. Diese tiefe, aus der Kindheit stammende Angst ist letztlich die Triebkraft vieler anderer Charakterfehler.

Menschen, die in dieser Mischung aus „Ohne mich läuft’s nicht“ und „Ich weiß am besten, wie es richtig ist“ leben, werden im Buch Zwölf Schritte und Zwölf Traditionen Blutende Diakone genannt und bei den Gebrüdern Grimm treten sie zum Beispiel als Meister Pfriem in Erscheinung.

Mein Sponsor fragte mich einmal, ob ich als Blutender Diakon enden wolle, oder ob ich nicht lieber ein AS-Oldtimer werden möchte: glücklich, voller Lebensfreude und frei?

Der Blutende Diakon überschätzt sich, seine Rolle und Bedeutung völlig und ist gefangen im Schwarz-Weiß-Denken. Etwas könnte falsch laufen.

Ich musste das Schwarz-Weiß-Denken zunächst mit in die Genesung nehmen. Jetzt war ich zwar trocken – aber es gab wieder nur richtig und falsch, jetzt bezogen auf das Programm und die Meetings. Jetzt war eben wieder allein das richtig, was ich tat, dachte und glaubte. Alle, die nicht genauso dachten oder das Programm genauso arbeiteten, wie ich, lagen falsch.

Und so kann es mir passieren, dass ich zum Blutenden Diakon mutiere. Ein trockener Sexsüchtiger, aus dem das neu gewonnene Leben wieder ausblutet.

Das Kernproblem am Schwarz-Weiß-Denken ist, dass es dualistisch ist. Dass es nur zwei Seiten kennt: Es gibt nur Gut oder Böse, Richtig oder Falsch gibt. Wenn also „mein“ Suchtweg falsch war, dann muss doch „mein“ Genesungsweg richtig sein! Wenn meine Einstellungen wahr sind, dann müssen doch davon abweichende Einstellungen Anderer falsch sein.

Es ist aber ein Irrtum des Schwarz-Weiß-Denkens, dass der Teufel schwarz und Gott deshalb weiß ist. Beide, schwarz und weiß, können Teufel sein. Den einen, den Schwarzen, erkennt man nur besser.

Der andere ist die Besserwisser- und Rechthaberei, die erhaben daherkommen und dahereden kann – aber eben auch nur wieder ein Teufel ist. Erkennen kann man diesen Teufel an seinem besessenen Charakter und seinem Absolutheitsanspruch. Selbst wenn er fromm, genesen und freundlich tut: Er trägt eine Maske und hinter der Maske sind Angst, Verbohrtheit, Härte und Herrschsucht.

Das kenne ich alles von mir.

Die helfenden Mächte sind nicht schwarz oder weiß im obigen Sinne: Sie sind großherzig, klar und liebevoll. Sie bergen Lebensfreude und Freiheit in sich. Leben! Freies Atmen.

Ich glaube deshalb auch an kein Du-Musst mehr. Was war ich immer unfrei! Ich glaube heute an das große „Du darfst“.

(überarbeitet am 28.11.2019)

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