Der erste Schritt bedeutet das Eingeständnis einer Niederlage.
In dem Buch Zwölf Schritte und Zwölf Traditionen heißt es hierzu auf Seite 19:
Der Erste Schritt
Wie gaben zu, dass wir der Lüsternheit gegenüber machtlos waren – und unser Leben nicht mehr meistern konnten.
Wer gesteht schon gerne seine vollständige Niederlage ein? So gut wie niemand. Der natürliche Instinkt wehrt sich gegen das Eingeständnis persönlicher Machtlosigkeit.
Eine vollständige Niederlage – Hoffentlich ist es eine vollständige Niederlage, die den Neuen zu den Anonymen Sexaholikern bringt. Hoffentlich war sie es bei mir. Denn nur so kann die Hoffnung, ich könnte nach einer gewissen Zeit der Abstinenz wieder „kontrolliert“ sexuell ausagieren oder Pornografie konsumieren, wirklich zerstört werden. Ich muss wirklich in Erinnerung behalten, wie es war, wie machtlos ich war und wie schlecht ich mich gefühlt habe. Damit ich mir in Momenten der Versuchung immer bewusst machen kann, wo ich wieder hinkommen werde, wenn ich „das erste Glas“ nicht stehenlasse.
Keep the memory green, Halte die Erinnerung wach,
lautet ein Programm-Slogan, und auch dafür brauche ich die Meetings und den Kontakt zu Neuen. Damit das Leben in der Sucht Erinnerung bleiben kann und ich nicht dahin zurück muss.
Natürlich wehrt sich das Ego gegen das Eingeständnis völliger Niederlage. Deshalb gehen diesem Eingeständnis Jahre und manchmal Jahrzehnte der Verleugnung und der Täuschung voraus. Ich kann mich erinnern, dass ich in meinen zwanziger Jahren so verzweifelt über die Machtlosigkeit gegenüber der Pornografie war, dass ich am Dom in Münster nach einem Priester suchte, um zu beichten. Er bestätigte mir im Beichtgespräch empathisch, dass es wirklich eine schlimme Sache mit der Pornografie sei. Nach der Beichte spürte ich eine riesige Erleichterung. „Es ist vorbei.“ Kurz darauf (am gleichen Tag? Am nächsten Tag?) wieder Pornokonsum. Von da an sollte es länger als ein Jahrzehnt dauern, bis ich Porno-konsumierend kapitulierte: Ich hatte eine Frau gefunden, die ich liebte und die mich liebte – und konnte mit den sexsüchtigen Verhaltensweisen trotzdem nicht aufhören. Sie wurden sogar schlimmer. Ich war wirklich machtlos. Das war eine absolute Niederlage.
Aber auch für Freunde, die schon länger trocken und im Programm sind gilt dieser Satz. Denn es gibt die vielen Niederlagen im Alltag. Zum Beispiel: Ich kann einen bestimmten Charakterfehler einfach nicht loslassen. Ich muss ihn immer und immer wiederholen. Ich bin völlig verzweifelt. Auch hier: Es hilft nur das Eingeständnis persönlicher Machtlosigkeit. Damit öffnet sich die Tür zur Hilfe. Oft ist die erste Genesungs-Handlung eine Affirmation oder ein Gebet. Das hilft mir bei der Neuausrichtung des Willens, weg vom Ego, hin zu den höheren Kräften. Dann steht mir der Kosmos der Hilfe offen, die mir das Zwölf-Schritte-Programm bietet: Inventur schreiben, Meetings, Gespräche mit dem Sponsor oder Programm-Freunden, Lesen in der Literatur, Besinnung und Gebet…
So ist die Niederlage und ihr Eingeständnis der Weg, dass Ego loszulassen und damit auch der Weg, weiter zu wachsen und gesünder zu werden.