Corona-Krise (I)

In den vergangenen zwei Tagen war ich bedrückt, kraftlos und hatte immer wieder Angst. Heute morgen wurde mir dann plötzlich klar, welche Besonderheit diese Corona-Krise für mich mit sich bringt. Worin ein Gesichtspunkt ihrer Ungeheuerlichkeit liegt.

„Äußerlich“ sind Risiken dieser Krise überforderte Krankenhäuser und ein gewaltiger wirtschaftlicher Zusammenbruch. Auch die Sorge, dass Menschen krank werden könnten, mit denen ich verbunden bin, oder ich selber.

Aber die besondere Schwierigkeit liegt noch auf einer anderen Ebene: Die geschilderten Gefahren lösen bei mir Angst aus. Es werden auch Ängste berührt, die in traumatischen Erfahrungen wurzeln. Was würde ich normalerweise in so einer Situation tun? Ich würde Meetings besuchen, den Gottesdienst, Vorträge, ich würde Gebet und Besinnung pflegen, mich mit meinem Sponsor und mit Freunden treffen, gemeinsam Essen und Kaffee trinken und wir würden gemeinsam Freude haben und Erfahrung, Kraft und Hoffnung teilen.

Ich hätte also gegen diese aus meinen Tiefen aufsteigenden Ängste eigentlich Mittel, ich weiß, was zu tun ist, ich habe sie tausende Male angewendet – und jetzt, wo die Krise ungewöhnlich intensiv ist, tue nur Weniges davon – kann Vieles nicht tun. Die intensive persönliche Begegnung, zu zweit, in Gruppen, im Gottesdienst, eingeschränkt, verboten – durch Vorschriften und durch selbst auferlegte Distanz- und Rücksichtnahmegebote. Durch Vernunft.

Das ist das Ungeheuerliche. Dass ich den aufsteigenden Ängsten nicht mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln begegnen kann.

Seitdem mir das klar ist, geht es mir wieder besser. Es ist der Kern dieser besonderen Situation, dass sie das Zwischenmenschliche schwächt. Sie greift unmittelbar die Institutionen der Freundschaft, Gemeinschaft und Begegnung an. Jetzt weiß ich, was für mich um so wichtiger ist:

  • Ich suche den Kontakt, isoliere mich nicht, spreche meine Angst aus, teile meine Schwäche und Erfahrung, Kraft und Hoffnung; in der Begegnung schrumpft die Angst bis zu dem Gefühl: Jetzt ist alles OK. Es helfen die Slogans:

Gott legt niemandem mehr auf, als er tragen kann.

Auch das geht vorüber.

Loslassen und Gott überlassen.

Gefühle sind wie Wolken: sie ziehen auf und sie ziehen wieder vorüber.

Mut ist Angst, die gebetet hat.

  • Ich pflege meine Spiritualität: Gemeinsam mit meiner Frau und am Telefon mit anderen. Ich halte private Andacht während der Gottesdienstzeiten, mich gedanklich mit den Anderen verbindend, die das Gleiche tun.
  • Ich übe Dankbarkeit, schreibe Dankbarkeitslisten.
  • Ich prüfe, welche Formen von Dienst ich tun kann. Dienst hält trocken und bringt mich davon ab, die ganze Zeit um mich selbst zu kreisen.
  • Ich führe die Meetings per Telefon oder anders elektronisch fort, gehe in mehr Meetings, helfe dort mit.
  • Ich spreche regelmäßig mit meinem Sponsor.

Angst macht krank. Sie ist der brüchige Faden, der das Gewebe meiner Existenz durchzogen hat. Sie ist die Triebfeder meiner Charakterfehler. Ich brauche Ent-Ängstigung.

Ich kann die Angst nicht wegwünschen. Aber die beschriebenen Wege helfen mir, sie integrieren zu können. Sie ist ein Teil von mir – aber ich bin nicht sie. Ich kann aus ihr herauswachsen – das habe ich in den Jahren der Trockenheit im Zwölf-Schritte-Programm immer und immer wieder erfahren.

Heute bin ich trocken und dankbar dafür, auf dem Weg zu sein. Was morgen ist, werde ich sehen. Ich bin so dankbar dafür, dass ich durch diese Situationen hindurch gehen kann, ohne lüstern zu trinken und ohne sexuell auszuagieren.

Ich habe meine „Stimme“ wiedergefunden. Ich hoffe, auch in den nächsten Tagen hier schreiben zu können.

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